Alte Liebe: Musik und Medizin

Unter Ärzten ist der Anteil an Musikern höher als in anderen Berufsgruppen. Die Musiktherapie ist dabei nur eine von vielen Schnittstellen und zahllose Studien belegen den positiven Einfluss von Musik auf ärztliche Fähigkeiten. Zudem gibt es Ärzteorchester, -chöre, -Bigbands und Musikunterricht, der sich speziell an Ärzte richtet. Ein musizierender Kollege hat an einem Klavierkurs für Ärzte teilgenommen.
Die Liste der Berührpunkte von Musik und Medizin ist lang: Die beruhigende Wirkung von Musik auf sowohl auf Chirurgen als auch auf Patienten im Operationssaal ist längst bekannt. In einer Studie von US-Kollegen zeigte sich zudem eine positive Wirkung des Musizierens auf die Fähigkeiten von laparoskopisch tätigen Chirurgen (JSLS. 2008;12:192-4). Knapp die Hälfte der Ärzte spielen selbst ein Musikinstrument oder singen. Das konnten niederländische Forscher belegen (Ned Tijdschr Geneeskd. 155; 2011: A4402).
Der Kinder- und Jugendpsychiater Dr. Thomas Dirksen aus Münster spielt selbst Klavier und hat im Sommer schon zum zweiten mal an einem Klavierkurs speziell für Ärzte teilgenommen. „Schon bei meiner ersten Teilnahme hat mit der Kurs einen Motivationsschub gegeben, von dem ich das ganze Jahr zehren konnte.“, berichtet Dirksen. Der Leiter des viertägigen Kurses, der in Zusammenarbeit mit dem Klavierfabrikanten Bösendorfer regelmäßig in Wien stattfindet, ist selbst studierter Konzertpianist und approbierter Arzt.
Dr. Thomas Dirksen im Bösendorfer-Saal in Wien. Foto: Dr. Stefan Käshammer
Dr. Thomas Dirksen im Bösendorfer-Saal in Wien. Foto: Dr. Stefan Käshammer
Am ersten Kurstag versammelten sich drei Psychiater, eine Hautärztin, ein Nuklearmediziner, ein Pharmakologe, ein Zahnarzt und eine WHO-Mitarbeiterin an keinem geringeren Ort als dem Mozarthaus in Wien, in dem Bösendorfer einen kleinen Konzertsaal unterhält. Beim gemeinsamen Abendessen lernten die Teilnehmer sich kennen und tauschten erste medizinische und musikalische Erfahrungen aus. Der Kursleiter Wolfgang Ellenberger, selbst Pianist und Psychiater, gab einen kurzen Ausblick über das Programm der kommenden Tage.
Ein wichtiger Punkt darin war: „Keine Angst vor Fehlern am Klavier! Nur wer Fehler macht und zu ihnen steht, kann das Lernpotenzial darin für sich nutzen“. Mit einem Augenzwinkern bezog Ellenberger seine Botschaft nicht nur auf das musikalische, sondern auch auf das medizinische Schaffen.
Wer wollte, konnte zum Ausklang des Eröffnungsabends auf dem Flügel des Saales eine erste Kostprobe seines Könnens an den Tasten liefern. Alle trauten sich und die erste Scheu war schnell verflogen.
Bei der Besichtigung der Bösendorfer-Manufaktur am nächsten Vormittag konnten die Teilnehmer den langen und handwerklich hochkomplexen Weg von der Auswahl der Hölzer bis zum fertigen Konzertflügel verfolgen. Spätestens hier wurde allen klar, warum der Klavierbau mehr Kunsthandwerk als Industrie ist: Jeder Flügel ist ein Einzelstück. Selbst zwischen zwei vollkommen baugleichen Instrumenten können kanglich und vom Spielgefühl her Welten liegen. Nach der Besichtigung begann der Einzelunterricht. Zum Abschluss des Kurses mit dem klangvollen Namen „Piano-Music-Docs“ fand im Bösendorfer-Saal des Mozart-Hauses ein Abschlusskonzert aller Teilnehmer statt.
Auch in Dirksens Praxis für Kinder- und Jugendpsychiatrie steht ein Klavier. Dirksen hatte in seiner Kindheit und Jugend jahrelang Klavierunterricht bevor das Lieblingshobby den Belastungen des Medizinstudiums und der ersten ärztlichen Berufsjahre weichen musste. Vor 10 Jahren hatte er seine alte Leidenschaft wiederentdeckt, nahm wieder Unterricht und musiziert seither mit alten Weggefährten aus der Studentenzeit in einer Jazzrock-Band.

Zwar ist Dirksen kein ausgebildeter Musiktherapeut, aber seine Kollegen aus der Gemeinschaftspraxis bedienen sich gelegentlich musiktherapeutischer Elemente. Die Musik erleichtere häufig den Gesprächseinstieg etwa bei mutistischen Kindern, die nur mit wenigen Bezugspersonen sprechen und das Gespräch mit allen anderen verweigern. „Diese Kinder lassen wir erst mal auf dem Klavier klimpern. Manchmal fordern wir sie auf, zu spielen, wie es ihnen geht, oder wie das Wetter draußen ist. Dabei vergessen sie nicht selten ihre Sprachverweigerung und damit ist das Eis dann gebrochen.“, berichtet Dirksen.
In seiner Freizeit ist Dierksen froh wenn er – anders als im psychiatrischen Alltag - nicht gezwungen ist zu reden. „Am Klavier kann ich mich dann musikalisch ausdrücken, das genieße ich sehr.“ Und das Erlebnis werde umso intensiver je schöner und hochwertiger der Klang eines Instrumentes ist.
„Bei den „Bösendorfer Piano-Music-Docs“ hatten wir Gelegenheit ausführlich auf den besten Flügeln der Welt zu musizieren, und das in einem interessanten Kreis von gleichgesinnten ärztlichen Kollegen im Herzen Wiens, der Welthauptstadt der Musik. Diese Mischung hat für mich einen unwiderstehlichen Reiz“, berichtet Dirksen begeistert. Abseits des Klavierunterrichts blieb außerdem Zeit, die Sehenswürdigkeiten Wiens zu genießen. „Das Burgtheater hatte zwar noch Sommerpause, doch konnte ich ein beeindruckendes Mozart-Konzert im Stephansdom mitnehmen, so Dirksen.
Die für Kinder- und Jugendpsychiater wichtigen kognitive Zugänge und verbalen Routinen werden nach Dirksens Erfahrung durch Musikalität gut ergänzt und oft erweitert. Sein Fazit: „Durch das Musizieren habe ich einen wunderbaren Ausgleich zum Berufsalltag. Gleichzeitig bekomme ich dadurch Impulse, die ich wiederum beruflich nutzen kann, womit sich der Kreis für mich schließt“.

Autorenhinweis: Der Autor des Textes, Dr. Stefan Käshammer, ist Assistenzarzt in der Nuklearmedizin, freier Mitarbeiter der Ärzte Zeitung und in seiner Freizeit Jazz-Pianist.
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